Wenn die Falschen befördert werden – und warum das Organisationen langfristig teuer zu stehen kommt
- Wolfgang Steigenberger
- 29. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 31. Juli
Ein Weckruf für moderne Führungskultur, Talententwicklung und strategische Weitsicht
Executive Summary
Viele Unternehmen befördern noch immer auf Basis von Fachexpertise, Loyalität oder Betriebszugehörigkeit – nicht aber auf Basis echter Führungskompetenz. Was früher funktionierte, reicht heute nicht mehr aus.
In Zeiten hybrider Arbeit, Wertewandel und hoher Veränderungsgeschwindigkeit sind andere Fähigkeiten gefragt: emotionale Intelligenz, Veränderungskompetenz und systemisches Denken.
Wichtige Erkenntnisse:
Falsche Beförderungen führen zu Fluktuation, Stillstand und Vertrauensverlust.
Gute Fachkräfte sind nicht automatisch gute Führungskräfte.
Führung ist kein Status, sondern Verantwortung – und muss systematisch entwickelt werden.
Organisationen brauchen neue Auswahlkriterien, gezielte Entwicklung und den Mut, Fehlbesetzungen zu korrigieren.
Führung entscheidet über Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit.
Wer heute befördert, muss an morgen denken.

1. Ein altbekanntes Phänomen – mit neuen Folgen
Es ist eine Beobachtung, die sich durch viele Organisationen und Branchen zieht: Menschen werden nicht aufgrund ihrer Eignung für Führungsaufgaben befördert, sondern weil sie fachlich exzellent, loyal, langjährig dabei oder schlicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.
Was früher funktioniert hat – die Beförderung nach Betriebszugehörigkeit, Fachexpertise oder „Gefälligkeit“ – reicht in Zukunft nicht mehr. Denn die Welt verändert sich schneller, als alte Strukturen sich anpassen.
In einer Welt, die sich rasant verändert – technologisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich – braucht es Führungskräfte, die nicht nur verwalten, sondern gestalten. Die nicht nur Leistung kontrollieren, sondern Potenziale entfalten. Und die nicht nur an Bestehendes glauben, sondern den Wandel vorantreiben.
Wenn jedoch die Falschen befördert werden, kann das Unternehmen langfristig gefährden:
Talente wandern ab.
Innovationskraft bleibt auf der Strecke.
Kultur wird zur Kulisse statt zur Kraftquelle.
Führung wird zur Belastung statt zur Befähigung.
2. Die typischen Fehlentscheidungen bei Beförderungen
Viele Unternehmen befördern immer noch nach dem sogenannten „Peter-Prinzip“: Menschen steigen bis zu ihrer Stufe der Inkompetenz auf. Eine exzellente Fachkraft wird zur Führungskraft – und scheitert dort, weil ganz andere Fähigkeiten gefragt sind.
Laut einer Studie von Gallup (2023) gaben 82 % der Unternehmen an, dass sie keine systematische Auswahl oder Entwicklung von Führungskompetenz betreiben. Beförderungen erfolgen häufig intuitiv, politisch oder auf Basis vergangener Erfolge.
Was früher funktionierte – etwa eine Karriere nach Dienstjahren – führt heute häufig ins Chaos. Denn Führung ist heute weniger eine Belohnung als eine Kompetenzaufgabe.
Typische Fehlannahmen, die seit Jahrzehnten immer wieder gemacht werden:
„Wer gut verkauft, kann auch ein Vertriebsteam führen.“
„Wer lange dabei ist, hat sich Führung verdient.“
„Wer sich loyal verhält, wird Verantwortung übernehmen.“
„Wer am wenigsten aneckt, sorgt für Ruhe im Team.“
Das Gegenteil ist oft der Fall – gerade in komplexen, dynamischen Organisationen.
3. Aktuelle Herausforderungen: Warum die Führungskraft von heute mehr können muss
Die Anforderungen an Leadership haben sich dramatisch verändert. Fachwissen bleibt wichtig – aber es ist nicht mehr der entscheidende Erfolgsfaktor.
Was gestern half, reicht heute nicht mehr:
Früher reichte es, wenn die Führungskraft „Ruhe in den Laden“ brachte.
Heute muss sie Dynamik orchestrieren.
Früher genügte die Zielvorgabe von oben.
Heute zählt die gemeinsame Sinnstiftung.
Aktuelle Herausforderungen:
Hybride Arbeitswelten: physisch, digital, global.
Psychologische Sicherheit: für Lernen, Feedback, Entwicklung.
Diversity & Inklusion: Führung als Ermöglichung von Unterschiedlichkeit.
Sinn- und Werteorientierung: besonders für junge Generationen entscheidend.
Umgang mit Unsicherheit und Wandel: Die Welt ist VUKA – volatil, unsicher, komplex, ambivalent.
Wer hier noch im „Command-and-Control“-Modus der 1990er-Jahre denkt, verliert.
4. Die falsche Beförderung – Symptome und Folgen
Wenn ungeeignete Menschen befördert werden, zeigen sich häufig diese Symptome:
Was früher funktionierte – Kontrolle, Struktur, klare Anweisungen – verhindert heute Entwicklung.
Eine aktuelle Untersuchung von McKinsey (2024) zeigt: 35 % der Mitarbeitenden verlassen Unternehmen nicht wegen der Aufgaben – sondern wegen schlechter Führung.
5. Die Antwort auf zukünftige Anforderungen: Leadership neu denken
Was braucht es stattdessen? Eine radikale Neuausrichtung.
Was gestern eine Führungskraft ausmachte – Fachexperte, Entscheider, Ressourcenzuteiler – wird morgen nicht mehr ausreichen.
Heute zählt:
Selbstreflexion: Führt jemand sich selbst?
Beziehungsfähigkeit: Baut sie/er Vertrauen auf?
Veränderungswille: Lern- statt Besitzstandsmentalität.
Purpose-Kompetenz: Vermittelt sie/er Sinn?
Systemisches Denken: Versteht sie/er Organisationen als Ganzes?
Einige Beispiele für erfolgreiche Nachbesetzung mit visionärer Ausrichtung beschreibt Jim Collins in seinem Buch "Good to Great" ("Der Weg zu Besten", 2011, Campus).
Studien belegen:
Organisationen mit systematischer Leadership-Entwicklung sind 8-mal erfolgreicher in Veränderungsprozessen (DDI, 2023).
Führungskräfte mit hoher emotionaler Intelligenz schaffen mehr Engagement und Innovation (Deloitte, 2023).
Teams mit psychologischer Sicherheit sind laut Google-Arbeitsstudie (Project Aristotle) die leistungsfähigsten.
6. Leadership-Potenzial erkennen – bevor befördert wird
Führung muss vorbereitet – nicht erlitten – werden.
Statt wie früher die beste Fachkraft automatisch zu befördern, braucht es ein vorausschauendes Leadership Development.
Früher wurde Führung on the job gelernt – heute muss sie gezielt entwickelt werden:
Potenzial erkennen: z. B. mit Tools wie 360°-Feedback oder dem HIPE-Check.
Führung auf Probe: über Projektleitung, laterale Führung.
Lernen in Praxis: Shadowing, Mentoring, Trainings.
Führung als Lernreise, nicht als Zielpunkt.
Eine zentrale Frage:
„Passt die Führungskraft, die heute befördert wird, auch zur Organisation, die wir morgen sein wollen?“
7. Kulturwandel: Führung ist kein Statussymbol, sondern ein Dienst
Viele Organisationen müssen ein neues Verständnis von Führung entwickeln. Noch zu oft ist Führung der „Lohn für Treue“ – statt Verantwortung für Menschen, Leistung und Kultur.
Was früher belohnt wurde – Loyalität, Anpassung, Durchsetzungskraft – kann heute kontraproduktiv sein.
Neue Kulturprinzipien:
Führung ist kein Privileg, sondern Verantwortung.
Nicht wer am lautesten will, sondern wer am wirksamsten wirkt, soll führen.
Karrierewege für Expert:innen schaffen – jenseits von Führung.
Entwicklung statt Verwaltung.
Führung muss vom „Karriere-Preis“ zur Rolle werden, die man annimmt, weil man darin gut ist – nicht, weil es der einzige Weg nach oben ist.
8. Was Organisationen jetzt tun müssen
Fünf konkrete Schritte:
Führungsqualität messen: Wer wirkt wie? Wer inspiriert, wer lähmt?
Leadership-Profile neu definieren: Was bedeutet wirksame Führung bei uns?
Alte Beförderungslogiken abschaffen: Keine automatische Karriere nach Dienstjahren.
Lernpfade statt Titel: Führung vorbereiten, begleiten und evaluieren.
Fehlbesetzungen korrigieren: Führung darf kein Selbstzweck sein – auch nicht rückwirkend.
Was früher funktionierte – Karriere als Belohnung – ist heute gefährlich. Denn schlechte Führung kostet Unternehmen Millionen.
9. Fazit: Die richtige Führung ist kein Zufall – sondern Entscheidung
Wenn die falschen befördert werden, ist das nicht nur individuelles Pech, sondern Ausdruck eines überholten Systems.
Was früher half – Erfahrung, Betriebszugehörigkeit, Loyalität – muss heute neu bewertet werden.
Denn: Führung ist keine Belohnung, sondern eine Schlüsselkompetenz. Nicht Titel entscheiden über Wirkung, sondern Haltung und Fähigkeit. Und nicht Vergangenheit zählt, sondern Zukunftstauglichkeit.
Wer das verstanden hat, stellt Leadership neu auf. Und genau das ist der Unterschied zwischen Organisationen, die überleben – und jenen, die führen.




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